© Hartmut Fanger
Ganzheitliche Krisenbewältigung À la Meyerhoff
Joachim Meyerhoff: Man kann auch in die Höhe fallen Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln 2024
Um die Bewältigung einer Krise geht es nun im sechsten Teil des Meyerhoffschen Romanzyklus‘ Man kann auch in die Höhe fallen. Und so ernst der Anlass – immerhin hat der Ich-Erzähler gerade einen Schlaganfall hinter sich –, so urkomisch nehmen sich die 355 Seiten ganzheitlicher Krisenbewältigung aus. Hautnah erleben wir, wie der schriftstellernde Protagonist und Ich-Erzähler, zugleich Schauspieler, sich in das Leben zurückarbeitet und im Zuge dessen feststellen muss, dass all das, woran er zuvor geglaubt, was er geplant und betrieben hatte, aus dem Ruder gelaufen zu sein scheint. Er fühlt sich elend und flüchtet. Und zwar an die Ostsee, zu seiner Mitte achtzigjährigen Mutter – strotzend vor Vitalität und Unternehmungsgeist. Stringent deren Lebensführung, geprägt von Gartenarbeit, regelmäßigem Schwimmen und Tauchen im Teich, täglichem Saunagang, Mitgliedschaft im Chor und nicht zuletzt der zu diesem Ablauf gehörenden Whiskeystunde. Von ihrer Leidenschaft für überhöhte Geschwindigkeit beim Autofahren ganz zu schweigen. Die Mutter ist es schließlich auch, die den lädierten Protagonisten dazu bringt, endlich wieder zu schreiben. Sie hört ihm, so manche Episode aus der Vergangenheit teilend, zu, verpasst Ihm Fußzonenreflexmassagen und überträgt ihm jede Menge Aufgaben im parkähnlichen Garten. Unter ihrer Kuratel findet er so allmählich wieder ins tätige Leben zurück. Darüber hinaus sind es Zufälle, die zu dieser rundum Gesundung beitragen. Etwa wenn ihm ein Friseur nicht nur Haare schneidet, sondern mit heißem Wachs und Holzstäben Ohren und Nase öffnet, so dass er folglich besser hören und riechen kann und, mit dem Rücken an einen Windradturm gelehnt, das Gefühl hat, zu neuer Energie gelangt zu sein.
In relativ kurzen Kapiteln erfährt der Leser im Rahmen von Rückblenden Anekdoten aus dem Leben des Ich-Erzählers, darunter teils traumatische Ereignisse in Berlin oder Wien. Städte, in denen er mehrere Jahre gelebt und als Schauspieler gearbeitet hat. Insbesondere zu schaffen gemacht hat ihm der Umzug von Wien nach Berlin. Dies spiegelt sich etwa in der Episode seines verlorenen Koffers wider, in der anschaulich erzählt wird, in welch skurrile Verwicklungen es münden kann, wenn einer wie er, von Krisen geschüttelt, eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit hat. So, wenn er vehement darauf beharrt, den Koffer an einer bestimmten Stelle im Hotel platziert zu haben, Himmel und Hölle in Bewegung setzt, um am Ende kapitulieren und zugeben zu müssen, dass dem definitiv nicht so war. In zahllosen weiteren Episoden so tragischen wie humorvollen Inhalts versteht es Meyerhoff, den Leser mit immer wieder überraschenden Momenten, Witz und seinem eigentümlich liebenswerten Humor bestens zu unterhalten und ihm so manches Lächeln auf die Lippen zu zaubern.
Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl