© Hartmut Fanger & erf
Der Maler und seine Bilder im Spiegel der Zeitläufte Caspar David Friedrich
Florian Illies: Zauber der Stille – Caspar David Friedrichs Reise durch die Zeiten
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2024
Rechtzeitig zum 250. Geburtstag Caspar David Friedrichs *1774 setzt Florian Illies dem zu Lebzeiten eher an den Rand gedrängten Maler mit Zauber der Stille ein bemerkenswertes literarisches Denkmal und ruft uns den beachtlichen Einfluss Friedrichs auf Zeitgenossen wie Nachgeborene noch einmal ins Gedächtnis. So hat etwa dessen berühmtes Gemälde „Mann und Frau in Betrachtung des Mondes“ (um 1824) Beckett zu dem in seiner Rätselhaftigkeit bis heute bahnbrechenden „Warten auf Godot“, (UA 1953, Paris) inspiriert – um nur ein Beispiel zu nennen.
Illies erweist sich hier einmal mehr als ‚großer Geschichtenerzähler’, wie ihn die Süddeutsche Zeitung schon bezeichnet hat, und erlaubt aus der Rückschau, Schlüsse für die Gegenwart zu ziehen, die wiederum Zukunft generieren. Insofern erweist sich die Trennung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft genau besehen als stetig ineinanderfließendes, pulsierendes Ganzes, das in dieser Komplexität wiederum unsere Wahrnehmung begründet. Auch Friedrich war den Brüchen seiner Zeit ausgesetzt, wo im Zuge romantischer Weltsicht die Leerstellen der Aufklärung und die Leiden daran zunehmend in den Blick geraten. Brüche, die wir heute wieder, obschon ungleich drastischer und dringlicher, erleben. Und doch hat es etwas Versöhnliches, sich ins Gedächtnis zu rufen, schon immer sind wir aufgefordert, den vom Zeitgeist dominierten Entwicklungen standzuhalten und mit ihnen zu gehen.
Und ebenso wenig wie Entwicklungsprozesse chronologisch verlaufen, folgt Illies in seiner Darstellung linearen Prinzipien, als er vielmehr Episoden und Ereignisse aus Vergangenheit und Gegenwart, orientiert an den vier Elementen Feuer, Wasser, Erde und Luft, miteinander verwebt. Mit dem Effekt, dass die Geschichte Friedrichs und die seiner Bilder sich hier auch nach dessen Ableben fortsetzt, womit die Trennlinie, die mit der Zeiteinteilung einhergeht, aber auch die zwischen Leben und Tod aufgehoben scheint . Ein noch anderes Licht auf das Phänomen Zeit als strukturgebendes Element ergibt sich aus der Tatsache, dass wiederum Friedrichs Name und dessen Werk Ende des 19. Jahrhunderts fast in Vergessenheit geraten ist, später dann vom Nationalsozialismus adaptiert und zu ideologischen Zwecken missbraucht wurde, heute jedoch nicht nur in Fachkreisen große Anerkennung genießt, so etwa, wenn vom „Siegeszug des »Wanderers über dem Nebelmeer«“ die Rede ist – laut Illies gegenwärtig wohl das berühmteste Friedrich-Bild überhaupt.
Erhellend nicht zuletzt die Geschichten, die sich um sein Werk ranken, sei es um ihre Entstehung, sei es um ihre Vermarktung. Unfassbar, zugleich tragisch, dass so viele seiner Bilder dem Feuer zum Opfer fielen. Wie Friedrich überhaupt eine magisch anmutende, für den Außenstehenden verstörende Affinität zu besagtem Element an den Tag legte, wie von Illies eindrucksvoll zur Sprache gebracht. Schon aufgrund seines Erzählstils versteht er, den Eindruck zu erwecken, unmittelbar am Geschehen beteiligt zu sein. So etwa, wenn er das Feuer im Münchener Glaspalast von 1931 schildert, wo es ‚besonders schmerzlich’ gewesen sei, dass die »Abendstunde« in Flammen aufging, jenes „Bild von seiner Frau Linda und ihrer Tochter Emma, die sich umarmen und dabei versonnen aus dem Fenster in eine laue sächsische Frühsommernacht hinausschauen.“ Leseprobe
Bereichernd auch die plastischen Schilderungen von kleinen Episoden aus Friedrichs Alltag, womit Illies ihn dem Leser umso mehr nahezubringen versteht. So zum Beispiel, wenn er von der Freundschaft zwischen dem norwegischen Maler Johan Christian Clausen Dahl und Friedrich erzählt und Friedrich Dahl eines Abends fragt, ob sie ein wenig in der Dämmerung spazieren gehen wollten, und sie anschließend lange an der Elbe entlang gehen, „... die ihnen lautlos entgegenströmt. Am Ufer machen die Fischer und Schiffer ihre Boote fest und entzünden kleine Feuer, um sich zu wärmen und Fisch zu braten.“ Leseprobe
Wie Friedrich überhaupt gerade das Zwielicht der Dämmerung, sei es am Morgen, sei es am Abend, zu schätzen weiß, dies immer wieder als Motiv in seinen Bildern auftaucht..
Doch lesen Sie selbst, lesen Sie
wohl!
Archiv
Unser Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem S. Fischer Verlag in Frankfurt
© Hartmut Fanger
Das eigene Leben als Stoff zum Schreiben
Judith Hermann: Wir hätten uns alles gesagt
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2023
Seit 1959 findet sich alljährlich ein Autor/eine Autorin als Gastdozent/in an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main ein, um im Rahmen einer Vortragsreihe ein Semester lang Fragen über den Schaffensprozess und die Umstände literarischer Gegebenheiten zu erörtern. Betrachtet man die Liste der Vortragenden, so ist schnell klar, hier ist das Who is Who der deutschsprachigen Literatur vertreten – dementsprechend legendär indessen die Frankfurter Poetik-Vorlesungen, worunter besagte Reihe bekannt wurde. Von Ingeborg Bachmann bis Heinrich Böll, von Hans Magnus Enzensberger bis Martin Walser, von Elisabeth Borchers bis Julie Zeh und viele, viele mehr. 2022 hatte nun Judith Hermann die Ehre, woraus schließlich der vorliegende Band „Wir hätten uns alles gesagt“ entstanden ist.
Doch wer hier lediglich einen Sachtext über Literatur im Allgemeinen und das Schreiben im Besonderen erwartet hat, wird angenehm überrascht sein. So heißt es gleich zu Beginn: „Das Schreiben über das Schreiben ist offenbar und erwartungsgemäß eigentlich vermieden worden, stattdessen haben sich Menschen und Situationen aufgezeigt, die das Schreiben beeinflusst haben“. Und Judith Hermann versteht es im Zuge der Schilderung ihres Schaffensprozesses auch in diesem Band, weitere Geschichten – und zwar Geschichten aus ihrem Leben – zu erzählen,
Und so überrascht es auch nicht, dass der Stoff aus all ihren großen Erzählbänden ihr tatsächliches Leben zum Inhalt hat: „Ich schreibe über mich. Ich schreibe am eigenen Leben entlang, ein anderes Schreiben kenne ich nicht.“
Dabei lässt sie uns wissen, dass sie während ihrer Arbeit nie sicher sein kann, inwieweit das, was sie von sich erzählt, wenn sie autobiografisch schreibt, tatsächlich stattgefunden‘, was sie womöglich nur ‚geträumt‘ oder sich ‚nur ausgedacht hat‘, weshalb ihre Erinnerung sich, literarisiert, der Fiktion annähert, was wir schließlich wiederum unter dem Begriff Autofiktion verstehen. Autofiktionales Schreiben also das Stichwort. Nicht umsonst heißt es an einer Stelle: „Schreiben imitiert Leben, Verschwinden der Dinge, beständiges Zurückbleiben, Unscharfwerden, Erlöschen der Bilder.“
Spannend gleich zu Beginn die Geschichte mit ihrem Psychoanalytiker Dr. Dreehüs, dem sie eines späten Abends zufällig auf der Straße begegnet, weshalb sie wieder zu rauchen beginnt und sich von ihm in einer Kaschemme zu einem Gin Tonic einladen lässt. Und wie einer Analyse eigen, werden auch hier all die Erinnerungen wach, Erinnerungen an die Stunden, die sie bei ihrem Analytiker verbracht hat. So etwa an die Entstehung des 17 Erzählungen umfassenden Bandes, „Lettipark“ zur selben Zeit, den wir bereits im Februar 2018 (siehe Archiv) vorgestellt hatten und den sie am Ende Dr. Dreehuis zukommen lässt, ihrer langjährigen Freundin Ada hingegen verweigert. Eine weitere authentische Geschichte.
Die Psychoanalyse ist es schließlich auch, die bisher Verdrängtes und Traumatisches wachruft, was summa summarum natürlich eine Fülle weiterer lebensnaher Geschichten beinhaltet. Dabei spielen Träume, Fantasien, insbesondere Erlebnisse in der Kindheit eine eklatante Rolle. Wobei sich der Autorin die Frage stellt, inwieweit es für sie ‚quälend, harte Arbeit ist, so eine Geschichte zu schreiben‘, oder dies eher ‚beglückend, unterhaltsam‘ sein kann, „am Ende ein Geschenk.“
So erzählt Judith Hermann zum Beispiel die Geschichte von ihrem Vater, wie er sie als Kind mit zur Aufbahrung des geliebten Großvaters nimmt, ohne sie vorher auf irgendeine Weise darauf vorzubereiten. Zugleich fallen in diesem Zusammenhang die ‚Kratzer‘ an den Händen des Vaters auf. Dieser erzählt ihr, dass diese von dem Kuscheltier kämen, in das es sich nach dem Tod der ‚echten‘ Katze verwandelt hätte. Dass das Kind eine solche Fantasie nicht verstehen kann, liegt auf der Hand.
Oder das überdimensionale Puppenhaus, das er ihr gebaut hat, um davon zu erzählen, dass darin des Nachts ein seltsames Wesen haust, was dem Kind natürlich regelmäßig Angst einjagt und weshalb die Autorin sich heute noch beim Verfassen eines Textes darüber allein fühlt. Viele Anekdoten und Überraschungen folgen.
Und das alles in gewohnter Judith-Hermann-Qualität erzählt. Das hat sich seit „Sommerhaus später“ nicht verändert. Sensible Beobachtungen, sprachlich nuancenreich, knapp und vielstimmig umgesetzt. Es bedarf auch hier nur weniger Worte um für Kopfkino zu sorgen. Ein Kleinod in der Kunst der kurzen Form, der Kunst des Aus- und Weglassens.
Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!
Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem S. Fischer Verlag Frankfurt am Main
© Hartmut Fanger
Glück und Leid im Alltag eines Autors
Arno Geiger: Das glückliche Geheimnis, Hanser Verlag. München 2023
Dies jüngste Werk Arno Geigers ist eine wahrhaft beglückende Lektüre, zugleich Fundgrube für alle, die das Schreiben für sich als Medium erkannt haben, das eigene Leben aus einer erweiterten Perspektive heraus anders wahrzunehmen und neu zu bewerten, sowie als Möglichkeit, sein schöpferisches Potenzial zu verwirklichen. Werfen wir in „Das glückliche Geheimnis“ mit Geiger selbst einen Blick zurück auf seine vorausgegangenen Romane, „Es geht uns gut“, „Selbstporträt mit Flusspferd“, „Alles über Sally“ oder „Der alte König in seinem Exil“, lässt sich daraus durchaus eine Erfolgsgeschichte ablesen, aber auch, dass jeder Erfolg offenbar unweigerlich seinen Preis hat.
Auf 240 Seiten gewährt uns der Autor Einblick in die Entstehungsprozesse seiner Romane, in die diesen begleitenden Umstände sowie die Einsichten, die er dabei gewonnen hat. So zum Beispiel, inwieweit er eine Art Doppelleben geführt hat und Tag für Tag, vornehmlich zu Fuß oder per Rad, mehr oder weniger heimlich seine Runden drehte, um in Altpapiertonnen nach brauchbarem Material zu suchen. Darunter Briefe und Tagebuchaufzeichnungen. Im Zuge dessen bewahrheiten sich für ihn zusehends die Erkenntnisse seiner Vorbilder wie etwa Lew Tolstoi oder Ludwig Börne. So, dass Menschen, die für ‚den Hausgebrauch‘ schreiben, im Grunde das ‚einlösen’, was viele Schriftsteller vermissen lassen. Laut Börne sei in der Kunst
[s]ich unwissend zu machen ... die große Kunst. Denn an nichts herrsche größerer Mangel als an Büchern ohne Verstand. Das Geburtsland des Gedankens sei das Herz ... Nicht an Geist, an Charakter mangle es den meisten Schriftstellern und Schriftstellerinnen. Es fehle ihnen an Mut zur Ehrlichkeit, ihre Eitelkeit stehe ihnen im Weg ... Aufrichtigkeit sei die Quelle aller Genialität. Leseprobe
Dementsprechend trifft er bei seiner Suche auch auf so manches Buch, das er dann ‚anders als in gekauften Büchern, in freudiger Erregung liest’. Doch was, wenn er dort ein Buch von sich selbst findet ...?
Mit einfachen Worten, stichhaltig, plastisch, dabei gewürzt mit feinem Humor, zeichnet Geiger seinen Werdegang als Schriftsteller, von anfänglicher Erfolglosigkeit bis hin zum Autor, der binnen kurzer Zeit ‚fast halbmillionfach’ Bücher verkauft. Ein Erfolg, der sich, wie er selbst es ausdrückt, ‚wie durch den Kamin mit Poltern und Getöse’ einstellte. Denn schon bald ziehen die zahllosen Fernsehauftritte, Podiumsdiskussionen, Preisverleihungen und jede Menge Lesungen Zustände der Erschöpfung bis hin zum Burnout nach sich und zeugen davon, wie von dem Traum eines jeden Autors ein Alptraum werden kann. Dabei war es auch für Geiger wahrlich nicht immer einfach, seine Werke bei einem Verlag unterzubringen.
Und wie im richtigen Leben geht es im Werk Geigers auch um handfeste Beziehungen. So werden hier ebenso Geschichten von der Liebe erzählt. Von der Liebe zu seiner einstigen Freundin M., zur Geliebten O. und seiner heutigen Frau K., die, direkt oder indirekt, ihren Beitrag zu dem Erfolg seines Werks beigetragen, ihn unterstützt und ihm immer wieder den Rücken freigehalten haben.
Und natürlich kommen auch die uns allen anhaftenden Themen existentieller Herausforderungen zum Tragen. So anrührend wie erschütternd die Schilderungen von Krankheit und Tod, sei es von dem eines guten Freunds, sei es von Verwandten, wie der Schlaganfall seiner Mutter und die Demenzerkrankung des Vaters. Geiger zieht nicht zuletzt daraus die Erkenntnis, zu der schon der geschätzte verstorbene Freund gelangt war: „Das Leben ist eine Zumutung.“
Geiger kommt in diesem Buch der Wahrheit, zumindest seiner, sehr nahe, auch wenn für ihn klar ist, dass er ‚über das eigene Leben nur schreiben kann, indem er es verfälscht’. Für ihn gibt es dennoch keinen Unterschied, wenn er zum Beispiel seinen Vater beschreibt. Da ist er Sohn und Schriftsteller zugleich. Wie er überhaupt als Schreibender ‚mehr als nur Schriftsteller’, sondern zugleich ‚Lebensgefährte, Sohn, Künstler, Lumpensammler, Gauner, Bruder, guter und schlechter Freund, alles in einem sei’ – nach Ernie Ernaux und anderen ein weiteres Beispiel Autofiktionalen Schreibens, der Erforschung des eigenen Lebens geschuldet.
Eine nicht nur für die schreibende Zunft sowohl geistreiche, tiefgreifende als auch unterhaltsame Erzählung. Lichtblick in dunklen Zeiten! Aber lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!
Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Hanser Verlag München
© Hartmut Fanger
Großer Geist im kleinen Nest - Von Schlegel bis Goethe - Wie Jena zum Zentrum der Romantik wurde
Andrea Wulf: Fabelhafte Rebellen – Die frühen Romantiker und die Erfindung des Ich, Aus dem Englischen von Andreas Wirthensohn, C. Bertelsmann-Verlag, München 2022
Erfahren Sie, wie Jena zum Zentrum der Romantik wurde, und lassen Sie sich von Andrea Wulfs Streifzug durch die Welt der umtriebigen jungen Romantiker, einer leuchtenden Phase voller Aufbruchsenergie, verzaubern. Vor der Folie der Französischen Revolution erleben wir so plastisch wie detailliert namhafte Schriftsteller, Philosophen und Dichter besagter Zeit und machen uns mit deren gesellschaftspolitisch umstürzlerischem Gedankengut vertraut. Gemeint sind in erster Linie die Gebrüder August Wilhelm und Friedrich Schlegel sowie Caroline Schlegel, aber auch Fichte, Novalis und deren Ziehväter Goethe und Schiller und viele mehr.
Dabei versteht es Wulf, den Leser mitten in die Jenaer „Romantiker-Szene“, wie wir heute sagen würden, und deren ‚wildes Treiben‘, als das es in der Jenaer Gesellschaft wahrgenommen wurde, hineinzuziehen. Und dies auf 525 Seiten mit einem über 100 Seiten umfassenden Anmerkungsapparat, Literatur- und Stichwortverzeichnis, teils farbigen Abbildungen und Karten. Obschon wissenschaftlich fundiert, ist das Ganze gut les- und nachvollziehbar!
So wird der Leser mit auf die Reise in eine andere Zeit, in eine andere Welt genommen, eine Welt der Kleinstaaten und absoluten Herrscher, in der es wahrlich schwer gewesen ist, das eigene Ich – postuliert vornehmlich von dem Philosophen Johann Gottlieb Fichte –zu entdecken und sich gegen jede Art von Obrigkeit und Willkür zu behaupten, die bei Verstoß in der Regel zu Zensur, ja gar Gefängnisaufenthalt führte. Allein in Jena scheint es ein wenig anders gewesen zu sein, denn nur dort soll es laut Schiller etwas mehr Freiheiten gegeben haben. Dies mag sich nicht zuletzt der Tatsache verdanken, dass es dort bereits seit dem 16. Jahrhundert eine Universität gegeben hat, die nach Wulf von vier sächsischen Herzögen kontrolliert wurde, von denen ‚keiner tatsächlich das Sagen hatte’, was den Professoren entsprechend Spielraum erlaubte.
Anderswo war es sehr viel strenger. Insbesondere Caroline Schlegel, geborene Böhmer, konnte ein Lied davon singen. Als Befürworterin der Revolution, unverheiratet und schwanger in der Festung Königstein inhaftiert, galt sie erst im Zuge der Heirat mit August Wilhelm Schlegel wieder als gesellschaftsfähig. Spannend und mit Verve, wie in einem Roman, erzählt Wulf die außergewöhnliche Geschichte von Caroline Schlegel und kristallisiert dabei plastisch die Rolle der Frau in der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts heraus. Denn Caroline Schlegel war es auch, die entscheidend bei der bis heute gültigen Übersetzung ihres Mannes der Werke Shakespeares mitwirkte. Doch verfasste sie obendrein eigene literarische Texte. Allerdings blieb sie dabei, wie im Übrigen die meisten ihrer schreibenden Zeitgenossinnen, anonym oder deren Texte erschienen unter männlichem Namen. Frauen hatten in der Literatur kaum Rechte ebenso wenig wie im richtigen Leben, sollten sich allenfalls, amtlich verfügt, um die Familie kümmern.
Was für eine Zeit des Aufbruchs, alte Strukturen lösten sich auf und ein gewaltiger Wissensdurst brach sich wiederum Bahn. Es entstand eine Bewegung, in der die Jugend und als einzige Ausnahme der schon leicht betagte Goethe als ‚Gott’ gefeiert wurde. Schiller hingegen geriet mitunter in Konflikt mit Mitgliedern der Bewegung. So zum Beispiel mit Friedrich Schlegel, der dessen Zeitschrift, „Die Horen“, ‚als verstaubt‘ attackierte. In Berlin gab er schließlich unter dem Namen „Athenäum“ ein eigenes revolutionäres Blatt heraus, das neben einer umfangreichen Besprechung von Goethes „Wilhelm Meister“ vornehmlich von Novalis als „Blüthenstaub bezeichnete Fragmente enthielt, die einem neuen Genre entsprachen, was wiederum ebenso eine „Revolution der Worte“ beinhaltete. Doch war es auch der Beginn der napoleonischen Kriege, deren Gefahr zunächst unterschätzt wurde.
Dem Leser fällt es letztendlich nicht leicht, von der Lektüre zu lassen, bietet sie doch eine Fülle teils spektakulärer Informationen, die einerseits ein lebendiges Bild des späten 18. Jahrhunderts vor Augen führen, andererseits jede Menge überraschender Momente enthalten, die angesichts der oft skandalösen Verhältnisse nicht selten der Komik entbehren, uns ein Lächeln entlocken oder den Atem anhalten lassen. Am besten, man liest das Buch gleich ein zweites Mal!
Doch lesen Sie selbst lesen Sie wohl!
Für das Rezensionsexemplar bedanken wir uns herzlich beim C. Bertelsmann Verlag.