Buchtipp des Monats September - Oktober 2024

 

© erf

 

Wenn aus Nöten Flügel wachsen ...

 

Manchmal kann die erneute Lektüre  so schön

und unvorhersehbar sein wie die Begegnung

mit einer alten Liebe.Fabio Stassi

 

Fabio Stassi: Die Seele aller Zufälle. Detektivroman. Edition CONVERSO, Karlsruhe 2024. Aus dem Italienischen von Annette Kopetzki

 

Der vielfach mit Preisen ausgezeichnete Autor für Kinder ebenso wie für Erwachsene, zugleich Songwriter Fabio Stassi – belesener Freigeist, unkonventionell, ideologiefrei zwar, dafür aber umso politischer, stammt aus einer Emigrantenfamilie, in der viele Weltreligionen zusammentreffen. In den Literaturen querbeet durch die Welt ist er ebenso bewandert wie er seinen Helden Vince Corso mit seinen Lesern durch Roms berühmtes Monti-Viertel unweit des Kolosseums flanieren lässt, mit ihm seine Lieblingsbuchhandlung besucht oder in seiner abseits gelegenen Lieblingsbar abhängt, wohin er sich gern mit einem Rossa-Bockbier zurückzieht, um stundenlang zu lesen.

 

Bei „Die Seele aller Zufälle“ handelt es sich um den zweiten Band mit dem groß angelegten Antihelden und Bibliotherapeuten aus Rom, Vince Corso, dem zugleich die Rolle des Detektivs, obschon meist nicht ganz freiwillig, zukommt. Corso, einer, der eher neben sich, als ‚mit beiden Beinen auf der Erde‘ steht, geht täglich mit seinem stummen Hund Django spazieren. Einst Gymnasiallehrer, ist er, was allein schon berufshalber naheliegt, passionierter Leser, spielt Schach, aber keine Partie zu Ende, liebt französische Chansons. An die Liebe glaubt er „schon seit einem Herbst und einem Winter nicht mehr.“ Leseprobe Seine in der Regel weiblichen Patienten empfängt er in einer Dachgeschosswohnung in der Via Merulana. Damit hat er ein unerschöpfliches Terrain für so skurrile wie schicksalsträchtige Begegnungen geschaffen, die der Tristesse, die ihn wie ein unsichtbares Gewebe umfängt, Farbe verleiht.

Unerwartet sieht er sich seitens einer Auftraggeberin, einer eleganten Dame um die 60, mit einem kniffligen Fall, dazuhin nicht unerheblichem Honorar konfrontiert: Ihr Bruder, weit gereist und Homme de Lettres, an Alzheimer erkrankt, spricht immer wieder dieselben Sätze vor sich hin, offenbar Zeilen aus einem Roman, in dem er sein Testament versteckt haben könnte. Die Auftraggeberin vermutet, dass, gelänge es herauszufinden, aus welchem Werk die gemurmelten Sätze stammten und es ihrem Bruder vorzulesen, dies seinem Gedächtnis wieder auf die Sprünge helfen könnte. Nachdem sie Corso Zugang zu dessen „Wunderkammer“, einer reich gefüllten Bibliothek, gespickt mit Bücherschätzen, darunter manch‘ wertvolle Rarität, erteilt, beginnt eine Art Odyssee für ihn: Durch Texte und Zeichen, verdeckte Hinweise und Verdachtsmomente. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, ist besagter Bruder Täter oder Opfer. Stelle, an der der Bibliotherapeut angehalten ist, zum Detektiv zu mutieren.

 

In einem anderen an ihn herangetragenem Fall wendet sich eine 70-jährige an ihn mit dem sie bedrängenden Anliegen, vergessen zu wollen: All die schmählichen Lagen, derer sie sich schäme und die sich bis ins kleinste Detail in ihr Gedächtnis eingebrannt zu haben schienen, sie quälten und ihr das Leben zur Hölle machten.

 

Es ist der Stoff des Lebens, der hier in poetischen Fragmenten, dramatischen Episoden, mal melancholisch, mal unter Hochspannung, nicht nur zur Sprache kommt, sondern überaus eloquent sprudelt. Tragikomisch und berührend, mal zum Weinen, mal zum Lachen. Dabei stets überraschend. Und es ist der Stoff, aus denen Bücher sich speisen, die in diesem Roman eine so zentral wie existenzielle Rolle spielen, aber auch in poetischer Theorie und rezeptionsgeschichtlich erhellt werden, lebendig und unterhaltsam rübergebracht.

 

Last but not least gebührt der verlegerischen Verve Bewunderung und Respekt, verdankt sich „Die Seele aller Zufälle“ doch dem Mut des Ein-Frau-Verlags Converso, begründet 2019 von Monika Lustig. Dass sie damit einen regelrechten Coup gelandet hat – Fabio Stassi erhält dafür den diesjährigen Hermann-Kesten-Preis des deutschen Pen – ist umso erfreulicher. GRATULATION!

 

Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!

 

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt Edition Converso, Karlsruhe!

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