© Hartmut Fanger:
Von Schlangen, Zecken und Überflutungen – Wenn der Klimawandel nicht mehr aufzuhalten ist . Weltuntergangsszenario à la Boyle
T.C. Boyle: Blue Skies, aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren, Hanser Verlag, München 2023
Bereits vor 20 Jahren hat T.C. Boyle in seinem Roman „Ein Freund der Erde“ von einer Klimakatastrophe erzählt. Eine Warnung, die schon deswegen in seinem neusten Werk „Blue Skies“ an Brisanz nicht mehr zu übertreffen sein mag. Die hierin geschilderten Waldbrände in Kalifornien und Überschwemmungen in Florida basieren auf einem ganz realen Hintergrund. Ebenso der Sturm, den er einem Interview von NDR Kultur nach ebenso selbst erlebt hat und wobei in seiner unmittelbaren Nachbarschaft 23 Menschen gestorben sind.
Nichtsdestotrotz liest sich das Buch bei allem Ernst der Lage, vielerlei tragischen Elementen und einer grundlegend dystopischen Weltuntergangsstimmung in typischer T.C. Boyle-Manier streckenweise sogar heiter und vergnüglich. Dies liegt nicht zuletzt an den frappierend unbedarft bis naiv gezeichneten Protagonisten, die, jeweils in ihrer eigenen Blase und dementsprechenden Mustern gefangen, den Versuch unternehmen, sich mit den extremen Gegebenheiten zu arrangieren. Sei es Cat, die sich aus Langeweile heraus Schlangen kauft, ohne zu wissen, in was für eine Gefahr sie sich, ihren Lebenspartner und ihre Kinder bringt. Oder ihr Bruder, der ausgerechnet als Entomologe einen winzigen Zeckenbiss unterschätzt, weshalb ihm am Ende ein Unterarm abgenommen werden muss. Währenddessen geht es im Umfeld hoch her. So schildert T.C.Boyle so plastisch wie drastisch die Umweltzerstörung vor Ort – Artensterben, Missernten, Wasserknappheit. Von den zunehmenden Wetterkatastrophen ganz zu schweigen, sei es Hitze und Trockenheit in Kalifornien oder die nimmer enden wollenden Regengüsse in Florida inklusive gewaltiger Überflutungen. Dabei versteht es der Autor immer wieder, seine Leser in den Bann zu ziehen. So zum Beispiel mit der Schilderung eines Hurricans, der eine Hochzeitsfeier zunichte macht, oder der Moment, wo Cat kurz vor der Geburt ihrer Zwillinge steht, sich allein im Haus befindet, ihre Mutter, die einzige, die ihr noch helfen kann, während eines Tornados mit Flugzeug und Leihwagen zu ihr unterwegs ist. An Spannung kaum zu überbieten.
„Blue Skies“ ist Boyles 19. Roman und vielleicht nicht der ganz große Wurf – dementsprechend auch nicht zu vergleichen mit „América“, „Wassermusik“ oder „Drop City“. Dafür aber bietet er beste Unterhaltung und erzählt mit einer Dringlichkeit, dass es auch dem letzten Klimaleugner langsam einleuchten sollte, dass weit mehr als bisher dagegen gesteuert werden müsste.
Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!
Unser Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Hanser Verlag in München
Siehe auch unter
Aktuell unseren Buchtipp des
Monats
Juli 2023: T.C.Boyle: "Blue Skies"
März 2019: T.C.Boyle: "Das Licht"
März 2021: T.C.Boyle: "Sprich mit mir"
Als Download außerdem jeweils im Buchtipp des Monats/Archiv
© Hartmut Fanger
Einsamkeit ist meine Einzimmerwohnung, ich unter der Bettdecke, die mich ganz einhüllt. Sie ist unter demselben Himmel, zu dem ich während eines Spaziergangs hinaufstarre, ist das Gefühl der Entfremdung inmitten von Partygästen. Baek Sehee
Psychotherapie auf Koreanisch
Eine so heitere wie ernsthafte Auseinandersetzung mit
einer anhaltenden leichten Depression (Dysthymie )
Baek Sehee: Ich will sterben, aber Tteokbokki essen will ich auch, Rowohlt Verlag, Hamburg 2023
Vom Rowohlt Verlag als „Überraschungs-Bestseller aus Südkorea“ angekündigt, kommt diese Geschichte in Dialogform tatsächlich so ungewöhnlich, selbstironisch und witzig daher, wie es der Titel verspricht. Die 32 jährige Autorin Baek Sehee erzählt auf 230 Seiten aus der Perspektive einer nach außen hin erfolgreichen jungen Angestellten in der Social-Media-Abteilung eines großen Verlagshauses, an der innerlich jedoch jede Menge Selbstzweifel nagen, denen sie innerhalb von 12 Wochen im Rahmen von Gesprächen mit einem Psychologen auf die Spur kommen will.
Und da stellen sich für die Protagonistin eine Fülle an Fragen. Zum Beispiel, inwieweit sie eine Lügnerin ist, wenn sie ihre Selbstzweifel nicht zeigen kann. Wie es möglich ist, sich selbst besser kennenzulernen, oder was man dagegen unternehmen kann, wenn man sich unter ständiger Beobachtung wähnt, das Selbstwertgefühl fehlt, sich als Frau nicht besonders attraktiv fühlt. Eine grundsätzliche Generalüberholung der Seele scheint notwendig.
Auf die Frage des Therapeuten am Ende, inwieweit die Ich-Erzählerin aufgrund von ‚Vorurteilen und Normen vielleicht das eigentliche Ziel aus den Augen verloren haben könnte’, stellt diese fest, dass sie ‚sehr froh’ sei, ,Kreatives Schreiben studiert zu haben’. Und genau das bestätigt ihr dann auch der Therapeut. Es sei ‚egal, was andere sagen, wichtig sei, was gefällt und Freude mache’.
Dies und viele weitere Beispiele zeigen ein ganzes Stück Lebenshilfe auf. Es geht schließlich darum, ‚ein besseres Gespür für sich selbst zu entwickeln‘, sich darüber klar zu werden, was man wirklich will. Es komme weniger darauf an, sich damit zu beschäftigen, wie man auf andere wirke. Ebenso wenig wie offenbar auch der Verstand immer der beste Ratgeber sei, vielmehr solle man öfter auf sein Herz hören.
Ein Buch, das zugleich den enormen Leistungsdruck im Arbeitsleben spiegelt, dem die jüngere Generation heute ausgesetzt ist, die sich schwertut, im Auge zu behalten, dass bei allem Eifer die Seele nicht zu kurz kommen darf, es noch andere Werte gibt.
Psychologische Erkenntnisse und Reflektionen unterstützen den Hilfesuchenden dabei. Der Dialog, hier als Stilmittel eingesetzt, dient zugleich als Vehikel, das die Handlung vorantreibt, und wird durch kurze Abschnitte konterkariert, die sowohl kleinere Alltagssorgen wie die großen Fragen des Lebens reflektieren und sich auch jeweils im Titel der einzelnen Kapitel widerspiegeln, was dem Ganzen einen gewissen Charme verleiht.
Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!
Unser Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem
Rowohlt Verlag in Hamburg