Buchtipp des Monats Juli - August 2024

 © Hartmut Fanger

 Cuthbert –Ein historischer Roman

 Zeitlinienverschiebung zwischen Frühmittelalter

und Moderne, Diesseits und Jenseits

 

Benjamin Myers: Cuddy. Echo der Zeit, Dumont Buchverlag, Köln 2024. Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence

 

Rechtzeitig zum Sommer erscheint mit Cuddy. Echo der Zeit der neue Roman von dem mehrfach mit Preisen ausgezeichneten Bestsellerautor Benjamin Myers. Nach dem beachtlichen Erfolg von „Offene See“ nun ein Historienroman erster Güte.

 

Dabei kommt die auf über 500 Seiten umfassende weitgehend fiktiv erzählte Geschichte des inoffiziellen englischen Schutzheiligen Cuthbert (um 635-687 n. Chr.), allgemein ‚liebevoll Cuddy genannt‘, über Jahrhunderte hinweg bis in die heutige Zeit hinein zur Sprache.

 

Ein wahrlich großer Roman, der es versteht, den Leser zunächst in eine mittelalterliche Welt zu entführen, existentielle Nöte der teils historischen Figuren nahezubringen, denen es oft genug tagtäglich allein ums nackte Überleben geht in einem von Hunger, Elend, Leid, Gewalt und von Seuchen geprägten Umfeld. Nichtsdestotrotz überwiegen der Glaube an Gott und die einzigartige Verehrung für den Heiligen. Eine Vielzahl von Zitaten diverser Zeitzeugen, sprich Mönchen, darüber hinaus Kirchenvertretern, Autoren aus dem18. Jahrhundert, wie der von Goethe verehrte Sir Walter Scott oder der Romantiker Schelling, sowie von Wissenschaftlern aus der Gegenwart, verleihen dem Ganzen seinen realhistorischen Hintergrund.

 

Hinzu kommen die vielen Geschichten und Sagen, die sich rundum Cuddy gesponnen haben. So wird zum Beispiel davon berichtet, dass er die Gewohnheit hatte, sich in der Nacht ins Meer zu begeben, um darin zu beten und um Gott nahe zu sein. Erst bei Sonnenaufgang hätte er das Wasser wieder verlassen. An einem denkwürdigen Tag sei er dann von zwei Ottern gewärmt worden. Im darauf folgenden Kapitel wird Cuddy gefragt, ob das mit den Ottern stimme. Er selbst sei die Antwort jedoch schuldig geblieben.

 

Darüber hinaus wird deutlich, mit welch grausamer Härte die Wikinger aus Dänemark – nicht umsonst als ‚die teuflischen Dänen’ bezeichnet – im Jahre 793 n.Chr. die heilige Insel Lindisfarne überfielen, dort nahezu jedes Leben zerstörten, raubten, plünderten und mordeten. Wie gut, dass einige Glaubensbrüder dem letzten Wunsch von Cuddy entsprochen und mit seinem Leichnam samt den heiligen Sakramenten rechtzeitig die Insel verlassen hatten.

 

Von Reiz in dieser ausschließlich Männern vorbehaltenen klerikalen Gruppierung ist, wenn ausgerechnet einer Frau es zukommt, darin eine wesentliche Rolle zu spielen. Ediva, die von ihrem gewalttätigen Ehemann unterdrückte junge Frau schließt sich zunächst den Mönchen an, bekocht und versorgt sie mit Heilmitteln. Doch Ediva ist es auch, die auf dieser jahrelangen Reise immer wieder Visionen von einem von Wasser umgebenen großen Berg hat. Und genau diese Visionen führen die Mönche samt Sarg mit dem Leichnam in das heutige Durham, wo Cuddy zu Ehren die große Kathedrale erbaut wird, wo er seine letzte Ruhestätte finden soll.

 

Vom Aufbau her innovativ die Perspektivierung. So, wenn sich etwa der längst verstorbene Cuddy mit seinen ihm ehrfurchtsvoll ergebenen Mönchen unterhält. Eine so gelungene wie ungemein kreative Auseinandersetzung des Autors mit dem Stoff, der den Leser von Beginn an bis zum Schluss in Schach hält.

 

Hervorzuheben ist nicht zuletzt die großzügige Gestaltung des Layouts, die dem Leser insbesondere im ersten von insgesamt fünf Büchern Freiräume zum Nachdenken und Meditieren gewährt. Manchmal enthält eine Zeile wie bei einem Gedicht nur ein einziges Wort. Oder aber es vermittelt sich der Inhalt eines Wortes mit dem äußeren Erscheinungsbild, indem zum Beispiel die Buchstaben des Wortes ‚Tiefe’ jeweils einzeln untereinander angeführt werden. Treffend dagegen die Geschichte im zweiten Buch von der Erbauung der Kathedrale, der Arbeit der Steinmetze, ausschließlich im üblichen Blocksatz. Darüber hinaus integriert der Autor weitere Genrespielarten, wie die Gestaltung von Szenen in Form eines Theaterstücks oder die Briefform aus dem 19. Jahrhundert. So geht zum Beispiel aus dem Schreiben des ‚Präbendars des sechsten Chorgestühls in der Kathedrale von Durham, Reverend William Nicholas Parnell, Mag. Theol, an Professor Fawcett-Black’ vom 5. Mai 1827 hervor, dass der Leichnam Cuddys nicht wie allgemein angenommen „tausendeinhundertvierzig Jahre nach seinem Tod, A. D. 687“ unversehrt geblieben sei, die Gebeine deshalb exhumiert werden sollen. Eine weitere spannende Geschichte bahnt sich an ...

 

Doch lesen Sie selbst, lesen Sie wohl!                                          Archiv

 

Unser herzlicher Dank für ein Rezensionsexemplar gilt dem Dumont Buchverlag

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